Die LDK hat beschlossen:
Extremismusprävention in den sächsischen Schulen nachhaltig verankert wird. Schüler*innen müssen ab Klasse 5 altersgerecht für demokratische Werte sensibilisiert und gegen radikale und extremistische Ideologien gestärkt werden.
Extremismus gefährdet die freiheitlich-demokratische Grundordnung unserer Gesellschaft. Vor allem Jugendliche sind anfällig für radikale Ideologien, die gezielt durch Manipulation und destruktive Strategien verbreitet werden. Schulen tragen die Verantwortung, grundlegende Werte wie Freiheit, Toleranz und Gleichberechtigung zu vermitteln und so die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu schützen. Nur eine umfassende, fächerübergreifende Extremismusprävention befähigt junge Menschen, eigenständig zu handeln, kritisch zu denken und sich aktiv gegen radikale Strömungen zu wehren.
Deshalb fordert der LSR Sachsen die Umsetzung der folgenden Forderungen durch die Akteure der sächsischen Bildungspolitik.
Nötige Grundkompetenzen
Extremistische Gruppen nutzen gezielte Strategien, um Jugendliche zu manipulieren und zu radikalisieren. Sie spielen mit Ängsten, fördern schwarz-weiß-Denken, nutzen Strohmann-Argumente, verbreiten Desinformation und stellen sich gegen die sachliche Diskussion.
Schüler*innen müssen früh und tiefgründig nötige Kompetenzen vermittelt werden, um diese Techniken und Diskussionsführung zu durchschauen und bewusst zu widerlegen.
Dafür bedarf es einer umfangreichen Aufklärung über Debattenkultur und über die Fähigkeiten, seine eigenen Standpunkte selbstreflektiert zu entwickeln und sachlich zu verteidigen. Der kontinuierliche und altersgerechte Aufbau dieser Fähigkeiten bindet vielseitige Fächer mit ein. Insbesondere im Deutschunterricht müssen klare inhaltliche Argumentation sowie schädigende manipulative Strategien im öffentlichen und zwischenmenschlichen Raum frühzeitig vermittelt werden. Reden und Rhetorik müssen priorisiert sowie früher und tiefsinniger eingegliedert werden. Auch die Analyse und gezieltes Widerlegen von Desinformation ist in Fächern wie GRW, Geschichte und Deutsch von größter Bedeutung.
Darüber hinaus bildet sicheres Faktenwissen die Grundlage für selbstbewusste und sachliche Argumentation. In Fächern wie Biologie, Geografie, Geschichte, Gemeinschaftskunde oder Ethik muss darüber hinaus das entsprechende Fachwissen sowie Methoden gefestigt werden, die wissenschaftliches Argumentieren ermöglichen. Dazu gehören nicht nur z.B. Verfassungsorgane, demokratische Prozesse, historische Hintergründe und politische Bildung, sondern auch selbstreflektierte Aufklärung über oft instrumentalisierte Themen wie Klimawandel, Migration, Wirtschaft oder psychologische Hintergründe der Meinungsbildung.
Radikalisierung entsteht oft durch das Gefühl der Ohnmacht sowie durch einfache und ansprechende, aber unvollständige Antworten auf komplexe Probleme. Schüler*innen müssen lernen, die Komplexität vielseitiger Entwicklungen und Ereignisse selbstständig zu verstehen und damit umzugehen. Durch ein bewusstes Ablehnen einfacher und übersimplifizierter Antworten sind sie weniger anfällig für unvollständige, extremistische Weltbilder.
Innerhalb der Schule braucht es fächerübergreifende Kompetenzen, Projekte und Lerninhalte, die kritisches und selbstreflektiertes Denken, Problemlösungsfähigkeit und den Umgang mit verschiedenen Standpunkten vermitteln. Dabei soll an die in BNE verankerten Kompetenzen angeknüpft werden. Die Schüler*innen sollen angeregt werden, die Ursachen von Extremismus zu hinterfragen und eigene fundierte Lösungsansätze für gesellschaftliche Probleme zu entwickeln. Auch diese Fähigkeiten müssen mit vielseitigen Lernbereichen aus zahlreichen verschiedenen Fächern verknüpft und eingegliedert werden.
Rolle der Medienbildung
Soziale Netzwerke haben sich zu Hotspots der Verbreitung extremistischer Ideologien, Falschinformationen sowie Radikalisierung und Rekrutierung für extremistische Gruppen entwickelt. Jugendliche, die täglich einen großen Teil ihrer Freizeit im Internet verbringen, müssen im Rahmen der Medienbildung mit konkreten Strategien gegen diese starke Gefährdung geschützt werden.
Radikale Gruppen nutzen ansprechende visuelle Inhalte sowie polarisierende und emotionale Botschaften, um Sympathie für extreme Positionen zu erzeugen. Besonders durch personalisierte Algorithmen werden radikalisierende Inhalte weiter verbreitet und können so unbemerkt Einfluss auf das Denken und Handeln junger Menschen nehmen.
Im Rahmen der Medienbildung muss vermittelt werden, sich kritisch mit diesen Inhalten in sozialen Netzwerken und Faktenchecks auseinanderzusetzen. Es benötigt explizite Aufklärung über Gefahren von Filterblasen und Echokammern sowie über Algorithmen, durch die extremistische Narrative große Reichweite erlangen. Die Medienkompetenz muss in diesem Fall mit der generellen Aufklärung über die Wirkung von Propaganda, Desinformation und Manipulation fächerübergreifend verknüpft werden.
Auch die generelle Auseinandersetzung mit verschiedenen Medienportalen und Nachrichtenplattformen sowie ihren Hintergründen gehört zum reflektierten Umgang mit Informationen. Zusätzlich muss beim Umgang mit Statistiken deren Interpretationsfähigkeit über die Dunkelziffer hinaus gelehrt werden, um dem Missbrauch von anscheinend unantastbaren Zahlen vorzubeugen.
Maßnahmen innerhalb des Unterrichts / Lehrplans
Themen wie Ausgrenzung, Toleranz, Zugehörigkeit, Identität, Flucht, Widerstand oder Propaganda selbst müssen einen selbstverständlichen Platz in zahlreichen Bereichen des Lehrplans finden. So müssen z.B. die Bedeutung von Zivilcourage, Menschenrechte, die Klärung von Verfassungsfeindlichkeit, Homophobie, Sexismus, Rassismus oder das Toleranzparadoxon in vielseitigen Materialien verschiedenster Fächer eingegliedert werden. Da diese Themen oft Ausgangspunkte der Radikalisierung darstellen, müssen sie in der Schule aufgegriffen werden, bevor extremistische Gruppen dies tun.
Kunst und Kultur bieten einen emotionalen Zugang zu komplexen Themen und können helfen, Vorurteile und Extremismus auf eine Weise zu reflektieren, die direkte Diskussionen manchmal nicht erreichen. Bei Kunst-, Literatur-, Film-, Musik-, Theater-, und Kulturinhalten sowie -projekten bietet es sich an, die genannten Inhalte und Themen explizit verstärkt einzugliedern und zu behandeln. Dadurch wird ein weiterer Zugang zu den emotionalen Ursachen von Extremismus geschaffen, der durch Regelunterricht nur schwer erreicht werden kann.
Da zahlreiche extremistische Narrative mit politischen Entscheidungen einhergehen, muss die politische Bildung über die grundlegendste Vorstellung der deutschen Parteienlandschaft hinausgehen. Im Rahmen der Schule muss ein Überblick über regionale und überregionale Parteien bezüglich ihrer Werte, Programme, Entstehungsgeschichte und Rolle in der heutigen Politik geschaffen werden. Schüler*innen sollen dazu in der Lage sein, diese selbstständig hinsichtlich der oben genannten Themen und ihren extremistischen Charakter über die Einordnung von links und rechts hinaus zu bewerten.
Für dieses Verständnis ist es außerdem essenziell, dass Schüler*innen über die Bedeutung und Rechtsprechung von extremistischen und verbotenen Parolen, Abkürzungen sowie Symbolen aufgeklärt werden. Darunter zählen sowohl historische und nationalsozialistische als auch aktuelle, sich stetig weiterentwickelnde Rhetorik, Symbole, Narrative usw.
Da extremistische Gruppen aktuelle Entwicklungen schnell, unreflektiert und manipulativ an Jugendliche herantragen, müssen im Unterricht stetig Verknüpfungen zu aktuellen Sachverhalten, Debatten, Akteur*innen, Konflikten usw. hergestellt werden. Offene, begleitete Diskussionen sind essenziell für ein ausgewogenes Verständnis unterschiedlicher Perspektiven und helfen, Vorurteile abzubauen.
Im Unterricht und im Rahmen demokratiefördernder Projekte muss dringend mehr Freiraum für Meinungsaustausch und Diskussion geschaffen werden. Um gegen mögliche Filterblasen vorzugehen und mit anderen Standpunkten in Kontakt zu treten, ist es wichtig, sich stetig unter professioneller Begleitung über kontroverse oder aktuelle Themen und Probleme kritisch auszutauschen.
Zur besonderen Stärkung aktueller Diskussionen muss an allen weiterführenden Schulen das Konzept der “Aktuellen Stunde” eingeführt und verbindlich in den Unterricht integriert werden. Dieses soll ab der Klassenstufe 7 jede Woche für 45 Minuten eingegliedert werden. Innerhalb dieser Zeit sollen diese aktuellen Themen aus dem Weltgeschehen, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft von den Schüler*innen vorgestellt, besprochen und auf Augenhöhe diskutiert werden.
Die konsequente Durchführung der “Aktuellen Stunde” hilft den Schüler*innen dabei, aktuelles Geschehen besser einzuordnen sowie reflektiert eigene Meinungen und Standpunkte bilden zu können.
Maßnahmen außerhalb des Unterrichts
Bedeutsame sowie erkenntnisreiche Prävention und Bekämpfung erfordern oft Expertise, die über das schulische Wissen hinausgeht. Es braucht eine konsequente und fest verankerte Eingliederung externer Quellen, Akteure und Orte in die Schulzeit, um Prävention effektiv umsetzen zu können.
Die Zusammenarbeit mit Fachkräften aus z.B. der Extremismusprävention und Demokratiebildung hilft dabei, vertiefte Einblicke in spezielle Themengebiete zu erlangen, die sonst im Regelunterricht keinen Platz gefunden hätten oder über das Fachwissen der Lehrkräfte hinausgehen.
Schulen müssen verstärkt und regelmäßig mit externen Partnern wie Präventionseinrichtungen, NGOs oder Jugendsozialarbeit zusammenarbeiten, um Workshops und Projekttage gegen die Entwicklung von Extremismus durchzuführen. Diese Projekte müssen nicht nur das Konzept des Extremismus selbst aufgreifen, sondern auch Themen und Kompetenzen umfassen, die das selbstreflektierte Denken, Hintergrundwissen, Populismus, politische Einblicke und Strukturen sowie weitere Inhalte und Fähigkeiten stärken, die gegen die Radikalisierung Jugendlicher vorgehen.
Extremismus entwickelt sich oft dort, wo das Vertrauen in die demokratischen Prozesse fehlt. Schüler*innen müssen innerhalb der Schule klar erfahren, dass ihre Meinungen gehört werden und sie durch aktive Beteiligung die Chance haben, etwas gewaltfrei zu bewirken und zu verändern.
Innerhalb der Schule müssen mehr Beteiligungsmöglichkeiten für Schüler*innen geschaffen werden. Dazu gehören die flächendeckende Anerkennung und Einbindung der Schüler*innenvertretung, politische Planspiele sowie die generelle Aufklärung und Inklusion von Partizipationsmöglichkeiten. Demokratie muss in der Schule durch konkrete Beteiligung erfahrbar gemacht werden, damit das Verständnis für demokratische Prozesse eindeutig gestärkt wird und extremistischen Ideologien der Nährboden entzogen wird.
Direkte Begegnungen mit den Konsequenzen extremistischer Ideologien und antidemokratischen Systemen hinterlassen einen tiefen Eindruck bei Jugendlichen und wirken langfristig präventiv. Außerschulische Lernorte ermöglichen eine unmittelbare professionelle Auseinandersetzung sowohl mit Geschichte als auch mit aktuellen politischen Herausforderungen. Sie schärfen damit das Bewusstsein über Gefahren von Radikalisierung und bieten konkrete historische Anknüpfungspunkte, um Extremismus in der Gegenwart besser zu verstehen und zu verhindern.
Es müssen regelmäßig altersgerechte Exkursionen im Rahmen des Unterrichts zu außerschulischen Lernorten stattfinden, die historisch-politisches Bewusstsein fördern und den Schüler*innen die Folgen extremistischer Ideologien aufzeigen. Diese Lernorte könnten unter anderem Gedenkstätten, Museen, politische Institutionen oder Orte des zivilgesellschaftlichen Engagements umfassen, beispielsweise:
- Gedenkstätten wie z.B. ehemalige Konzentrationslager oder Orte der NS-Zeit, um die Verheerungen von Rassismus, Antisemitismus und Faschismus begreifbar zu machen.
- Dokumentationszentren über z.B. DDR-Geschichte, Stasi-Museum oder Orte der SED-Diktatur, um die Gefahren von totalitären Regimen und politischer Unterdrückung zu thematisieren.
- Politische Bildungszentren wie z.B. der Besuch des Sächsischen Landtags oder Bundestags, um das Verständnis für demokratische Prozesse und politische Partizipation zu stärken.
- Interkulturelle Einrichtungen und Projekte, die sich z.B. mit Migration, Integration und multikultureller Zusammenarbeit auseinandersetzen, um den Wert von Diversität und gesellschaftlicher Toleranz zu verdeutlichen.
- Workshops mit Überlebenden oder Zeitzeugen, die persönliche Geschichten von Extremismus, Diskriminierung und Flucht erzählen, um z.B. Empathie und kritische Reflexion zu fördern.
Lehrkräfte im Kern der Prävention
Lehrkräfte spielen eine zentrale Rolle in der Prävention und Aufklärung. Sie müssen vollumfänglich dafür qualifiziert sein, Inhalte sachgerecht und tiefgründig zu vermitteln sowie Anzeichen von Radikalisierung zu erkennen und darauf professionell zu reagieren.
Dafür braucht es regelmäßige Fortbildungen für Lehrkräfte, die dazu beitragen, diese Anzeichen und Tendenzen von Radikalisierung zu erkennen und angemessen entgegenzuwirken. Darüber hinaus muss auch für Themen sensibilisiert werden, die direkt oder indirekt mit der Radikalisierung von Jugendlichen in Zusammenhang stehen. Ein komplexes Verständnis der geforderten Vermittlung von Medienkompetenz, Rhetorik und Manipulationstechniken ist dafür unerlässlich.
Außerdem müssen Lehrkräfte dazu in der Lage sein, die geforderten Debatten professionell und neutral begleiten zu können.
Aufgrund dieser zentralen Rolle erfordert es ein konsequentes und transparentes Vorgehen gegen Lehrkräfte, die selbst extremistische Tendenzen innerhalb der Schule verbreiten. Extremistische Ansätze, Symboliken und Falschinformationen, die durch scheinbar harmlose Kommentare, manipulative Fragestellungen oder bewusste Verzerrungen von Fakten vermittelt werden, schaffen ein gefährliches Umfeld, in dem Vorurteile, Hass und Ausgrenzung genährt werden. Als demokratischer Ort darf es innerhalb der Schule keinen Raum oder Toleranz für dieses Vorgehen geben. Die ganze Schulgemeinschaft und insbesondere Lehrkräfte tragen die Verantwortung, diesen Raum zu schützen.
Auch für Einzelpersonen muss es möglich sein, sich durch vertrauliche und anonyme Strukturen gegen radikalisierende Lehrkräfte durchzusetzen. Schulgemeinschaften müssen sich klar gegen Extremismus aus ihren eigenen Reihen stellen und angemessene sowie zeitnahe disziplinarische Maßnahmen durchsetzen.
Folgende Beschlüsse sind aufgehoben: 53-06