Die LDK hat beschlossen:
Problemstellung
Nicht-heterosexuelle oder sich nicht genderkonform verhaltende “queere” Jugendliche haben ein signifikant höheres Risiko, Opfer von Mobbing zu werden sowie Depressionen und Suizidgedanken zu entwickeln. (Vgl. Klocke (2014): »Inklusion sexueller und geschlechtlicher Vielfalt: Eine Studie zu Einflussmöglichkeiten pädagogischer Fachkräfte«) Der Schule als einer der wichtigsten Orte jugendlicher Sozialisation und Wertebildung kommt dabei eine ganz besondere Verantwortung zu.
Neben der Polizei und Justiz und den Ämtern und Behörden ist laut einer Studie des SMJusDEG aus dem Jahr 2022 (“Lebenslagen von lsbtiq* Personen in Sachsen”) die Schule aber einer der Lebensbereiche, in denen queere Menschen in Sachsen die negativsten Erfahrungen machen: Knapp 40 Prozent der queeren Schüler*innen machen hier demnach eher negative oder überwiegend negative Erfahrungen. Knapp 35 Prozent befragter Schüler*innen berichten von fehlenden Ansprechpersonen, knapp 30 Prozent von queerfeindlichen Äußerungen ihrer Lehrkräfte, knapp 25 Prozent fühlen sich in der Schule aufgrund ihres Queer-Seins ungerecht behandelt, knapp 14 Prozent wurden
deshalb schonmal bedroht oder körperlich angegriffen und knapp 6 Prozent haben wegen negativer Reaktionen auf ihr Queer-Sein ihre Schullaufbahn abgebrochen oder haben die Schule gewechselt.
Sächsische Schulen haben also nicht nur eine besondere Verantwortung im Umgang mit queerem Leben, sie kommen dieser auch nicht nach.
Zielstellung
Schulen und insbesondere deren pädagogische Fachkräfte müssen einen gelungenen Umgang mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt realisieren. Der LandesSchülerRat fordert eine emanzipatorische Schulpädagogik, welche Schüler*innen jeder Identität und sexueller Orientierung zur sexuellen Selbstbestimmung ermutigt. Die Sichtbarkeit von queerem Leben muss im Schulalltag und im Unterricht erhöht werden, Mobbing und Diskriminierung erkannt und konsequent dagegen vorgegangen werden. Dafür braucht es Kooperationen mit externem Partner*innen. Die Akzeptanz von Vielfalt und Vielfalt selbst brauchen eine institutionelle Verankerung und das eigene Verhalten und das System müssen immer wieder reflektiert und entsprechend qualifiziert werden. Das ist nur möglich, wenn auch Schüler*innen und Eltern beteiligt werden.
Bereich 1 – Queere Bildung im Unterricht
Bislang lässt sich feststellen, dass im sächsischen Lehrplan sowie in der allgemeinen Unterrichtsgestaltung keine ausreichende verpflichtende Beschäftigung mit dem Thema Queerness besteht. Die Themen werden als Randerscheinungen, wenn überhaupt, im Biologieunterricht thematisiert, somit erfolgt keine ausreichende und ausreichende und flächendeckende Aufklärung der Schüler*innen. Durch dieses Defizit ergibt sich ein unaufgeklärtes Lernumfeld. Das schafft wiederum Nährboden für Diskriminierung und Mobbing in der Schulgemeinschaft. Ziel im Unterricht muss es sein, unabhängig vom Lehrpersonal, Schulform oder Vertiefung eine authentische Begegnung mit und Aufklärung über Themen wie Liebe, sexuelle Orientierung und Identitäten zu ermöglichen.
Im unterrichtlichen Kontext ist die Thematik queeres Leben als Querschnittsthema zu begreifen, in diesem Sinne gilt es als fächerübergreifend zu behandeln und als allgemeines Ziel in die Lehrpläne aufzunehmen. Dafür muss den Lehrkräften Material und Unterrichtsvorbereitung vom SMK zur Verfügung gestellt werden. Schüler*innen müssen Erfahrung mit Vielfalt machen und lernen, sich mit unterschiedlichen Lebensformen auseinanderzusetzen. Nur so kann ein Schulklima der Diskriminierungsfreiheit gewährleistet werden.
Neben der inhaltlichen Verortung in vielen Fächern als Querschnittsthema ist das Fach Biologie besonders prädestiniert, um vor allem über die biologischen Grundlagen von verschiedenen Lebens- und Liebesformen aufzuklären. Dort muss sich verpflichtend im Lehrplan verankert und nicht nur über die Bemerkungen mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt auseinandergesetzt werden – in allen Schulformen.
Wir fordern mehr queere Sichtbarkeit in Schulbüchern und Lektüren im Unterricht. Schüler*innen außerhalb des heteronormativen Spektrums sollen sich auch im Unterrichtsmaterial gesehen und akzeptiert fühlen. Besonders in den Lektüreempfehlungen für das Fach Deutsch muss sich mehr mit Themen wie Coming-Out und Geschlechterrollen behandelt werden.
Um einem fachlichen Anspruch und somit dem Stellenwert dieser Thematik gerecht zu werden, fordern wir zudem vermehrt die Zusammenarbeit mit außerschulischen Partner*innen in Anspruch zu nehmen. Die hier vorhandene Kompetenz und Expertise ist maßgebend für eine erfolgreiche und pädagogische Aufklärung.
Bereich 2 – Schulstruktur
Um queeres Leben in Schulen diskriminierungsfreier ermöglichen zu können, muss auch die Struktur dieser angepasst werden.
Nichtbinäre Mitglieder der Schulgemeinschaft sollten einem ihrem Geschlecht entsprechenden Zugang zu Toiletten und Umkleiden haben und sich nicht in das binären Geschlechtersystem zwängen müssen. Der LandesSchülerRat fordert, dass der Freistaat das Landesbaurecht überarbeitet und so die Träger in Verantwortung nimmt, auch All- Gender-Toiletten und -Umkleiden mit einzuplanen.
Neben der Vorbeugung von Diskriminierung ist allerdings auch der Umgang mit dieser besonders wichtig. Immerhin existiert diese Diskriminierung und es darf nicht länger einfach über sie hinweggesehen werden. Dafür fordern wir eine Ansprechperson an jeder Schule zum Thema Antidiskriminierung, welche ebenfalls einen moderierten in der Schule räumlich abgegrenzten Safer Space betreut, in welchen sich diskriminierte Personen zurückziehen können. Die Antidiskriminierungsansprechperson sollte eine für ihre Aufgabe geeignete Ausbildung erfahren haben. Der Safer Space muss im Landesbaurecht bedacht werden.
Außerdem fordern wir eine unabhängige Antidiskriminierungs- und Beratungsstelle im SMK, welche als Ansprechstelle für Schüler*innen, Lehrkräften und Schulleitungen in Rechtsfragen dient, Beschwerden entgegennimmt und bei Konflikten mit eigenen Kompetenzen vermitteln kann oder an lokale Akteure weiterleitet. Die Stelle soll ausdrücklich auch Schulleitungen bei aufkommenden Fragen zum Thema Transgeschlechtlichkeit und Non-Binarität an Schulen beraten. Die Barrieren, diese Antidiskriminierungs- und Beratungsstelle im SMK zu erreichen, müssen gering sein.
Die Forschungslage im Freistaat zu queerem Leben in Schule ist sehr gering. Der LandesSchülerRat Sachsen fordert daher mehr Forschung zum Thema Queerness in Schulen, um sich derer Dimensionen bewusst zu werden und gezielter gegen Diskriminierung vorgehen zu können. Es ist wichtig, mit genauen Zahlen zu arbeiten und zu evaluieren, welche Maßnahmen gebraucht und angenommen werden.
Bereich 3 – Schulgemeinschaft
Queere Bildung und queere Sichtbarkeit sind nicht nur Aufgabe des Biologieunterrichts. Beides muss allgegenwärtig in den Schulalltag integriert werden.
Sensibler Umgang des pädagogischen Personals an Schule mit Vielfalt, insbesondere mit Queerness, bildet dabei die Grundlage. Dieses Personal muss ausgebildet sein, Vielfalt im Schulleben zu thematisieren, bei Diskriminierung einzuschreiten und Eltern zu Queerness in Schule aufzuklären. Umgang mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt und deren Diskriminierung gehört daher verpflichtend in die Lehrkräfteausbildung. Oft immer noch fehlende Weiterbildungsangebote müssen ausgebaut werden, auch in Zusammenarbeit mit externen Bildungsfachstellen. Vielfalt der Schulgemeinschaft und deren Sichtbarmachung muss in der Ausbildung von schulischen Führungspersonal verpflichtend gelehrt werden. Auch bedarf es neben den oft an ihre zeitlichen Grenzen stoßenden Lehrkräften mehr Schulsozialarbeit und Schulpsychologie, um Diskriminierungserfahrungen aufgrund von Queerness vorzubeugen oder konsequent dagegen vorzugehen.
Zur Sichtbarmachung von Vielfalt gehört auch Sprache. Um allein schon die Vielfalt der deutschen Sprache darzustellen, natürlich aber auch die geschlechtliche Vielfalt, muss das ministeriale Verbot der Gendersprache mit eingeschobenem Zeichen revidiert werden.
Unabdingbar für die Thematisierung von queerer Vielfalt sind außerschulische Kooperationspartner*innen mit Workshop-, Prozessbegleitungs- und Schlichtungsangeboten. Dass in den vergangenen Jahren diese Angebote von staatlicher Seite immer weniger bezuschusst wurden, ist höchst problematisch. Queere Fachberatungen müssen erhalten bleiben und weiter ausgebaut werden. Dafür braucht es mehr staatliches Geld.